TAZ.de - Dezember 2003 Manfred Hermes
Einmal zu oft zurück
Sagt es etwas über die zivilen Teile einer Gesellschaft aus, wenn dort das Tragen von Militärkleidung recht normal ist? Spricht das für die grundsätzliche Bejahung des Militärischen oder ist es eher als ironische Aneignung zu verstehen? Oder einfach nur als ein Wunsch nach unverwüstlicher Kleidung, die ebenso geschmackssicher wie unauffällig ist? Wie auch immer die Antwort lautet: In dieser Lage kommt es auch in umgekehrter Richtung zu Verwirrungen. Im israelischen Film "Yossi & Jagger" kann man dem Militär dabei zusehen, wie es sich mit der Welt von Clubbing, Spaß und Sport vermischt, was nicht nur an der Kleiderordnung und der Farbskala von Weiß und Flaschengrün liegt. In dieser Armee treffen sich schöne, junge Menschen beiderlei Geschlechts, selbst für Sonderlinge und Spaßvögel ist Platz, und Drill und Gebrüll gibt es nicht.
Trotzdem gibt es immer noch Gefahren und Härten. Man wurde an der Grenze zum Libanon in einem provisorischen Camp stationiert. Die dicken Nylonparkas sind dringend nötig, denn es ist Winter, und die Hügel, die nach Westen zum Meer hin auslaufen, sind schneebedeckt. Obwohl die gefräst wirkende Landschaft kein ganz unschuldiges Bild mehr abgibt - man denkt inzwischen ja unweigerlich an die Raffinessen der israelischen Siedlungspolitik -, bleibt die Bedrohung doch distanziert, abstrakt und die Gegner dadurch gleichwertig. Und dann gibt es ja auch wieder Techno, die Kunst des Kochens und ab und zu etwas Sex oder Liebe.
Lior und sein Vorgesetzter Yossi haben sich mal wieder in den Schnee zurückgezogen. Ihre boyhafte Verspieltheit entspricht dem internationalen Stand schwuler Selbstverniedlichung, und ein vorwitziger Hase erteilt der intimen Szene die Absolution der Mutter Natur. Drinnen im Camp ist die Situation noch nicht so entspannt. Die beiden Männer leben in voller Deckung, aber ständig werden missverständliche Fragen gestellt. Frauen begehren den schönen Lior. Sattelfeste Machos sondern die üblichen Witze und Meinungen zum Thema ab. Hinweise auf ein antischwules Klima werden also geschickt und regelmäßig gestreut, laufen dann aber doch nicht auf ein Drama der Unterdrückung und Intoleranz hinaus. Worum geht es dann? Um einen Homoerotizismus des Militärs? Eine Homosexualität, die die Spitzen des Militarismus bricht?
Eher schon um die banale Anerkennung der Homosexualität als Tatsache. Ohne Zweifel ist "Homosexualität in der Armee" immer noch ein wichtiges Thema. Toleranz geht an die Wurzeln militärischer Traditionen. In "Yossi & Jagger" wird ein Reformklima aufgebaut, das diese Frage in den Mittelpunkt zu stellen scheint. Was wie der gut gelaunte Pilotfilm einer TV-Serie im Camouflage-Milieu beginnt, endet auf einem düsteren Ton. Bei einem nächtlichen Einsatz werden mehrere Teilnehmer schwer verwundet, Jagger tödlich. Durch die traurige Wende entsteht für Yossi ein noch größerer Druck Richtung Coming-out, im Film jedoch auch eine eigenartige Ambivalenz.
Schon bis zu diesem Punkt hatten sich Eytan Fox und der Drehbuchautor Avner Bernheimer politisch äußerst diskret verhalten. Weder das kürzlich von Liran Ron-Furer gebeichtete Kontrollposten-Syndrom - der institutionalisierte Rassismus auf der Basis nicht nur militärischer Überlegenheitsgefühle - noch irgendeine andere Form von Auseinandersetzung mit dem "Feind" werden zur Sprache gebracht. Dafür ist dann aber der Blick in die Opferstatistik aufschlussreich. Es sind gerade die Menschen, die sich für Genuss und Lebensglück erklärt haben, die die höchsten Kosten zu tragen haben. Der Koch verliert mit dem Arm seine Arbeitsfähigkeit, und auch der schwule Orpheus hat sich einmal zu oft nach Yossi umgesehen. Genuss und Gleichheit werden in "Yossi & Jagger" bejaht, aber man muss auf sie noch etwas verzichten.
Da gab es sicher schon kritischere Statements israelischer Filmemacher zur Lage des Landes. Hier ist man eher pragmatisch: Zwischen Homosexualität und Landesverteidigung muss es keinen Widerspruch geben. Eine Low-budget-Produktion und Staatskunst schließen sich nicht aus. Beim Kondolenzbesuch kommt es dann zum eigentlichen Clash der Kulturen. Parkaträger treffen auf Männer in saloppen Seinfeld-Männerpullovern. So wird die Welt erst richtig in gut und schlecht unterteilt.
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