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Tagesspiegel.de - Februar 2003 Bodo Mrozek
Schießen Sie bitte auf den Großvater
Der israelische Starregisseur Eytan Fox präsentiert seinen neuen Film bei der Berlinale – und dreht einen Spionagethriller in Dahlem
Schwere Teppiche dämpfen die Schritte auf dem blank gewienerten Parkett, das Personal trägt artiges Schwarz-Weiß. Man hat sich in Schale geworfen: Lackschuhe glänzen, Kronleuchter funkeln und aus tiefausgeschnittenen Dekolletés blinkt es teuer. Zum 60. Geburtstag des Berliner Industriellen ist auch sein Sohn Axel angereist, der in einem Kibbuz in Israel lebt, und er hat eine Überraschung mitgebracht: einen israelischen Volkstanz. Für die Familie ist das eine Provokation, die Mutter verlässt pikiert den Raum. Doch die wahre Überraschung des Abends steht noch bevor. Als plötzlich der tot geglaubte Großvater in einem Rollstuhl hereingerollt wird, traut Axel seinen Augen kaum: Jahrzehnte lang war der Großvater in Südamerika untergetaucht, weil er international gesucht wurde – als Alt-Nazi und berüchtigter Kriegsverbrecher.
Die Vergangenheit fährt Rollstuhl
„Cut!“, ruft plötzlich ein Mensch im Pullover in die angespannte Stimmung hinein und „do it again please!“. Alles noch einmal auf Anfang, bitte. Der am wenigsten elegant gekleidete, hochgewachsene Mann ist der wahre Chef dieser Gesellschaft, die in Wahrheit aus Schauspielern und Komparsen besteht. „Walking on Water“ wird der Thriller heißen, der dieser Tage in Berlin abgedreht wird. Sein Regisseur heißt Eytan Fox. Der Filmemacher, Jahrgang 1964, ist einer der Stars des jungen israelischen Kinos. Sein Kurzfilm „Gotta have a heart“ gewann 1999 den Kurzfilmpreis beim New Yorker New-Film-Festival, „Shirat Ha’Sirena“ (Das Lied der Sirene), eine Komödie, die in Tel Aviv während des Golfkrieges spielte, lief 1995 im Panorama der Berlinale. In Israel war der Film ein Publikumsrenner.
Auch bei der diesjährigen Berlinale ist Eytan Fox mit einem Beitrag vertreten. „Yossi & Jagger“ handelt von einer Gruppe junger israelischer Soldaten, die eine Grenzbefestigung in den tief verschneiten israelischen Bergen sichern. Die jungen Frauen und Männer leisten ihren Militärdienst mit der Unbekümmertheit einer Klassenfahrt. In den Unterkünften essen, trinken, tanzen und scherzen sie gemeinsam, und allmählich arbeitet der Film dabei die Eigenheiten der Charaktere heraus. Der junge Offizier Yossi liebt seinen fast gleich alten Untergebenen Jagger, kann sich innerhalb des militärischen Reglements aber nicht zu seiner Homosexualität bekennen.
Fox’ Augenmerk liegt besonders auf den Außenseitern der durch die politisch-militärischen Umstände zusammengeführten Gruppe, doch im Verlauf des Filmes wird klar, dass in dieser Gesellschaft alle Außenseiter sind, die eine Rolle spielen, um mit der alltäglichen Bedrohung zurechtzukommen. Scheinbar beiläufig führt der Film einen Alltag vor, an dem nichts alltäglich ist, weil der plötzliche Tod als ständige Gefahr über dieser kleinen, isolierten Gruppe schwebt – und somit als eine Allegorie für den Staat Israel gesehen werden kann. Eytan Fox kehrt mit diesem Beitrag zu seinen Ursprüngen zurück, denn schon sein Debütfilm „Time off“ beschäftigte sich 1990 mit der sexuellen Identität junger Soldaten in der israelischen Armee.
Fox ist ein hochgewachsener Mann mit kurzgeschorenen Haaren und sonnengebräunter Haut. Er wirkt gestresst, aber das ist kein Wunder. Seit Tagen pendelt er zwischen Dahlem und Potsdamer Platz, zwischen Drehort und Festival, und außerdem noch zwischen Deutschland und Israel. Geboren wurde Fox in New York, im Alter von zwei Jahren kam er nach Israel. Deutschland kennt er, seit er als Austauschschüler in Karlsruhe war. „Das war eine seltsame Erfahrung“, sagt er heute. „Ich bin in dem Bewusstsein aufgewachsen, auf der guten Seite zu stehen.“ Dieses Bewusstsein durchzog die Erziehung von der Holocaust-Zeremonie bis zum Militärdienst. „Die Deutschen waren für mich immer die Bösen: große, humorlose, blonde Männer und Frauen.“ Die Deutschen, denen Fox als Austauschschüler begegnete, waren aber ganz anders: „progressiv, sozial engagiert, weltoffen“. Damals geriet das Weltbild des Schülers durcheinander: „Die Israelis kamen mir plötzlich gar nicht mehr als ‚die Guten' vor, ich merkte, dass wir selber dem Klischee des ‚bösen Deutschen' entsprachen: zum Heldentum erzogen, bereit Befehle zu befolgen, hart zu sein und niemals zu weinen.“
Diesem Männlichkeitsbild, das auch im Militärdienst gefestigt wurde, konnte und wollte Fox nicht entsprechen. Von solchen inneren Konflikten handeln auch seine Filme: der Berlinalebeitrag ebenso wie das Filmprojekt „Walk on the Water“, das gerade in Berlin entsteht. Es erzählt die Geschichte zweier junger Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Eyal (gespielt vom israelischen Filmstar Lior Ashkenazi) ist Mossad-Agent und ein israelischer Macho-Typ.
Ein Weltbild gerät ins Wanken
Als er auf den jungen deutschen Homosexuellen Axel (Knut Berger) angesetzt wird, gerät sein Weltbild ins Wanken. Eyal soll sich Axels Freundschaft erschleichen, um dessen Großvater aufzuspüren, einen berüchtigten Nazi-Täter. Die beiden befreunden sich aber tatsächlich, und als Axels Großvater überraschend auf der Dahlemer Geburtstagsgesellschaft auftaucht, steht Eyal vor der schwersten Entscheidung seines Lebens. Der Mossad verlangt von ihm, den Großvater seines neuen deutschen Freundes zu ermorden.
Der Drehort in Berlin-Dahlem ist die Kulisse für die Schlüsselszene dieser Story. Wieder einmal verbindet Fox eine spannende Handlung geschickt mit einem politisch-historisch brisanten Hintergrund. Die innere Wandlung des militärisch erzogenen Mossad-Agenten basiert zu einem guten Teil auf der eigenen Biografie des Filmemachers. Die ungewöhnliche Geschichte dürfte nicht nur in Israel einige Diskussionen erregen, denn sie bricht mit vielen Klischees. Das Budget für diese Produktion beträgt rund eine Million Euro. Obwohl das Team international besetzt ist, wird der Film dennoch keine deutsch-israelische Koproduktion. Die deutsche Associate-Producerin Tatjana Jakovleski hatte sich bis zuletzt um deutsche Filmförderung bemüht – ohne Erfolg. Dabei geht derzeit Nordrhein-Westfalen mit gutem Beispiel voran: Der Israelische Filmfonds und das Land NRW haben erst kürzlich ein Filmabkommen für eine Partnerschaft geschlossen. Für Jakovleski ein Modell, das sich auf die Region übertragen ließe: „So ein Austausch wäre nicht nur gut für die internationalen Beziehungen, sondern auch für den angeschlagenen Filmstandort Berlin-Brandenburg.“ Auch der Filmemacher Fox würde gerne mehr mit Deutschen zusammenarbeiten. Einstweilen fiebert das Team aber mit dem Berlinale-Beitrag – wenn immer es der knapp bemessene Drehplan zulässt. Ein Festival-Erfolg könnte auch den Weg für künftige Koproduktionen ebnen.
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