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Etuxx.com - Februar/März 2003 Sven
Taschentücher nicht vergessen
Der Film dauert nur 65 Minuten. In dieser reichlichen Stunde sehen wir den Versuch und das Scheitern eines coming out unter verhängnisvollen Umständen. Yossi und Lior (der von allen Jagger genannt wird wegen seiner Vorliebe fürs Amerikanische) sind Soldaten. Yossi ist der Vorgesetzte von Jagger. Sie verlieben sich ineinander, was in der israelischen Armee genau so verboten ist wie in jeder anderen Armee auch und genau wie in jeder anderen Armee vorkommt. Sie verbergen ihre Liebe, ihr Sex findet im Verborgenen statt. Jagger hätte gerne eine Liebe wie in einem amerikanischen Film, mit Liebesschwüren und Kitschmusik. Und er hätte gerne, dass alle davon erfahren. Yossi zögert und versteckt sich hinter seinem stress als Kommandeur.
Die Handlung spielt während des Libanon-Krieges in einem Außenposten in verschneitem Gelände. Die Verhältnisse in den Wohncontainern sind beengt und abgeschnitten von der Außenwelt. Die Einheit der beiden ist, wie in der IDF (Israel Defense Forces) üblich, gemischt. Zwei Frauen (besser: Mädchen) versuchen, sich gegen die Jungs durchzusetzen und sind doch nur mit. Sie sind für den Funkverkehr zuständig, wenn die anderen kämpfen gehen, bleiben sie drin. Eine hat ein Verhältnis mit dem obersten Kommandeur. Die andere hat sich in Jagger verliebt. Gezeigt wird der Alltag. Er besteht aus dem schnellen Fick des Kommandeurs, der im Container vorbeischaut, um die Leute, die ein paar Tage Erholung haben sollten, gleich zum nächsten riskanten Einsatz rauszuschicken, mit der einen Frau. Und aus dem tricky Vorgehen der anderen, die sich Jagger angeln will. Aus Sex der beiden Jungs im Schnee mit Musik von Rita (einer wirklich großartigen israelischen Ethno-Schlager-Tussi). Aus Macho-Gehabe und Mädchengesprächen. Aus Disko-Improvisation und Anschiss. Und eben aus Krieg.
Eytan Fox, der Regisseur, ist ein Linker. Er thematisiert schwule Liebe und schwulenfeindliche Atmosphäre in der israelischen Armee, wenig entspannten Umgang mit Soldatinnen mitten im Männerbund und zeigt ganz normale Jugendliche, die in unwirtlicher Umgebung zu lebensgefährlichen Einsätzen kommandiert werden. Allerdings ist dies kein Antikriegsfilm. Kein Linker in Israel (auch nicht die Friedensbewegung und die Reservisten, die den Dienst in den "Gebieten" verweigern) käme auf die Idee, die israelischen Streitkräfte abzuschaffen. In Israel ist Militärpräsenz Teil des Alltags der Leute. Auch ich als Tourist habe mich wohler gefühlt, wenn im Bus einige Leute mit Maschinenpistolen mitfuhren. Und auch im Kino saßen Uniformierte und haben sich den Film angesehen, dem die IDF die Unterstützung aus Image-Gründen versagt haben, was nun auf sie zurück fällt. Der Film ist nämlich wider Erwarten ein Kassenerfolg geworden. Ganze Schulklassen und Armee-Einheiten rannten in die Kinos. Der Film hat mehrere Preise bekommen, lief im Fernsehen und hat eine ziemlich breite Rezeption auch in der Presse erfahren. Ivri Lider, dessen Soundtrack sich gut verkauft, hat gleich sein eigenes coming out drangehängt. Die Mädels strömen weiter in seine Konzerte.
Am Ende des Films ist der Krieg nicht zu Ende, das coming out verpatzt, die Liebe des Mädchens zu Jagger vergeblich und alle bleiben ziemlich ratlos mit der Information, dass Jagger auf Ritas coming out Hymne "Bo" (Komm) steht: Komm lass uns den Nebel vertreiben / Komm lass uns im Licht stehen und nicht im Dunkel / Du darfst auch mal weinen, wenn etwas in dir zerbricht / Eines Tages wirst du aufhören, zwischen den Schatten in deiner Seele umher zu irren... Das wird im Abspann von Ivri Lider gesungen. Taschentücher nicht vergessen.
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