Neues Deutschland - Dezember 2003
Autor unbekannt

Männerliebe im Militär

Auf einer Berlinale, die offiziell der Toleranz gewidmet, aber eher vom drohenden Irakkrieg bestimmt war, auf der ein regierungskritischer Dustin Hoffman als Gesicht des “anderen Amerika” gefeiert wurde, auf der diesjährigen Berlinale also kam ein Film wie “Yossi & Jagger” im Schwerpunkt Programm Israel gerade recht.

Ein Film nämlich, der in wenig mehr als einer Stunde und mit schlichten Mitteln die  ganze Tragödie eines Landes einfängt, dessen junge Leute ihre besten Jahre im Angesicht von Tod und Verstümmelung mit der Abwehr eines Feindes verschwenden, der der ewigen Kämpfe genauso müde ist wie sie selbst. In der die Wahlfreiheit des Einzelnen Interesse der nationalen Einheit praktisch aufgehoben ist, wo noch der sinnlose Befehl befolgt wird, wenn er vorgeblich der allgemeinen Sicherheit dient, und ungeheuerer Anpassungsdruck aus jeder kleinen Verweigerung ein wahres Coming-Out macht.

Ob sie sich diesem Druck stellen oder stillhalten sollten, darüber streiten die beiden Titelhelden noch. Der eine ist vierschrötig und schweigsam, ein disziplinierter Vorgesetzter, dessen Autorität mehr auf Integrität und sachlicher Kompetenz beruht als auf persönlichem Charisma. Der andere bezaubert alle Kameraden mit dem Charme eines sanftmütigen Kobolds, seinen lachenden Augen und dem Kussmund, der ihm den Nachmanen eines Rocksängers als Rufnamen eintrug. Yossi und Lior, genannt Jagger, sind Offiziere der israelischen Streitkräfte, und sie sind schwul.

Was in einem anderen Kontext nicht weniger als gut so wäre, gewinnt innerhalb einer stets einsatzbereiten Armee wie der israelischen gleich doppelt an Brisanz, weil Männerliebe von keiner Militärorganisation der Welt gerne gesehen wird und weil Yossi Jaggers Vorgesetzter ist und eine offen ausgetragene Beziehung nach dem Militärischen Kodex die Moral der Truppe untergraben könnte. Das beider Kommandeur auf seinen sporadischen Besuchen ihres Aussenpostens sein Feldbett stets für schnellen Sex mit einer kindlichen Funkerin nutzt, gehört offenbar auch in einer konsequent mischgeschlechtlichen Armee wie der israelischen zu sehr zum Alltag, um besonders aufzufallen - ein weiteres Ärgernis für Regisseur Eytan Fox.

Die Selbstsicht junger Männer in Israel ist ein wiederkehrendes Thema im Werk des Regisseurs, der in Amerika geboren wurde, in Israel aufwuchs, in Tel Aviv sein Handwerk lernte und einst während eines Schüleraustausches in Karlsruhe seine junge Weltsicht auf den Kopf gestellt fand, als die Gastfamilie so gar nicht dem Klischeebild vom bösen, blonden Deutschen entsprechen wollte. Eine Gesellschaft, die an Männern nur die Stärke schätzt, damit sich der Holocaust sich niemals wiederholen könne, wird bittere Bürger zeitigen, die nicht mit ihrem Nachbarn auskommen können, ist zwanzig Jahre späte seine Überzeugung, und diesen täglichen israelischen Alptraum inszeniert er. Schon “Time Off”, sein Abschlussfilm, handelte, wenn auch noch zögerlich, von einer schwulen Liebe in der Armee. In “Songs of the Siren”, seinem Spielfilm-Debut, ging es um das Lieben als Massnahme des Widerstandes gegen die Militarisierung des israelischen Alltages während des ersten Golfkrieges.

Fox und Drehbuchautor Avner Bernheimer wird wohl klar gewesen sein, dass sie angesichts des Themas von “Yossi & Jagger” auf logistische Unterstützung seitens der israelischen Armee würden verzichten müssen. Ebenso vorhersehbar hätte aber auch das enorme Interesse sein können, das dem Film in Israel entgegenschlug, auch wenn die Beteiligten sich darüber gerne überrascht geben. Yehuda Levi, der traumschöne Darsteller des Jagger, ist in Israel als Star einer täglichen Soap und Teenieschwarm bekannt. Soundtrack-Komponist verwendete als Grundlage für die Hitsingle zum Film einen bekannten Schlager der Popikone Rita. Die alles hat dem Erfolg dabei ebensowenig geschadet wie die zentrale Sexszene im Schnee, deren Kussmotiv alle Filmposter ziert. Auch Frauen und Heteros könne Freude an den jungen Männern haben, die da der täglichen Bedrohung ein paar Minuten Lebensfreude abringen, mit Schneebällen werfen und utopischen Traum über die Zeit nach der Armee nachhängen, in denen es um nichts als den Wunsch nach der Wiederherstellung von Normalität geht.

In Deutschland hat “Yossi & Jagger” als Eröffungsfilm des schwullesbischen Städte-Filmfestivals verzaubert. In Israel sah man in anders: In einem Land, in dem die Ausnahmesituation der Verteidigungsbereitschaft für jeden Bürger zur Alltagserfahrung gehört, in einem Land, dessen Streitkräfte ein ganzes Volk umfassen, wie die israelische Botschaft auf ihrer Webseite stolz verkündet, in dem jeder zumindest jemanden kennt, der einen Angehörigen oder einen Freund diesem unerklärten Krieg verlor, konnte jeder Zuschauer eigene Erfahrungen wiederfinden im jähen Ende, das eine Bombe setzt. Und möglicherweise auch in der Tragödie, sich nicht rechtzeitig bekannt zu haben, die Yossi am Ende vor der Trauer der Familie seines Freundes erneut verstummen lässt. Denn nicht die Homosexualität dieser Soldaten sei das Skandalon, findet Drehbuchautor Bernheimer, sondern dass sie, die doch leben wollten, gezwungen würden, in einem unsinnigen Kampf ihr Leben zu lassen. Und das die Europäische Union endlich ihre Sorge vor Antisemitismus-Vorwürfen vergessen solle und ihrerseits Druck ausüben, damit Sharon und Arafat anderen Platz machen, die mehr könne als kämpfen.

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